Kommentar zur Übersetzung

von James Joyces Clay

Die hier übersetzte Erzählung "Clay" aus Dubliners ist für mich ein seltenes Juwel: Eine Heldengeschichte ohne offenkundiges Heldentum; eine nüchterne Geschichte, die eine Randfigur des gesellschaftlichen Lebens als liebenswert darstellt, ohne in pathetisches Mitleid oder plakative Kritik abzudriften.

Der irische Autor James Joyce hat mit "Erde" eine Erzählung geschaffen, die mir helfen kann, Mitgefühl zu empfinden und mich für das Leben zu öffnen, trotzdem die beschriebenen gesellschaftlichen Zustände eher zu ohnmächtiger Wut oder Zynismus einladen. Mit kleinen sprachlichen "Interventionen" in einen ansonsten relativ unauffälligen realistischen Text stellt Joyce den gängigen Blick auf Menschen in Frage und lädt die Leser ein, die Geschichte nicht nur mit dem Verstand, sondern auch mit dem Herzen zu lesen. Auch der Übersetzer sollte bei bestimmten Stellen einen wachen Blick für feine Unterschiede in der Bedeutung von Wörtern haben.

Bevor ich auf diese Frage eingehe, zunächst ein Überblick über die bereits existierenden Übersetzungen dieses Textes, der 1914 im Sammelband Dubliners erschien. Die Standardübersetzung von Dubliners ist sicher die 1969 von Dieter E. Zimmer im Suhrkamp Verlag veröffentlichte Übertragung. Zimmer hat diese Übersetzung äußerst akribisch und sorgfältig ausgeführt und dabei die Forschungsergebnisse der Literaturgeschichte minutiös mitbedacht. Heute, nach über vierzig Jahren, erscheinen manche Wörter sicher antiquierter als damals. Die Übersetzung neigt auch stark zur unnötigen Übernahme von irischen oder englischsprachigen Begriffen, statt sie zu übersetzen und damit für den deutschsprachigen Leser ohne umständliche Erläuterungen oder Anmerkungen zugänglich zu machen.

Im Stuttgarter Verlag Philipp Reclam jun. erschien 1994 eine Übersetzung von Harald Beck. Auch diese Übersetzung ist von großer Sorgfalt geprägt und baut offensichtlich auf einer profunden Kenntnis der Sprache und der Kultur Irlands auf. Der Übersetzer folgt für mein Empfinden oft zu stark dem Originaltext.

Doch zurück zu den erwähnten feinen Unterschieden in der Bedeutung. Bei beiden oben genannten Übersetzungen hat mich an wesentlichen Stellen die Beschreibung der Hauptfigur Maria gestört. Beide Übersetzer entscheiden sich bei Adjektiven, die auch eine andere Färbung zulassen, oft für den negativen Beigeschmack. So wird Marias Körper an einer Stelle, als sie sich mit stiller, zarter Freude an ihre Jugend zurückerinnert, als "diminutive" beschrieben, was sowohl "zierlich" als auch "winzig" bedeuten kann. Zimmer entscheidet sich hier für "winzig". Während sich Maria an ihre Jugend erinnert, heißt es zudem über ihren jugendlichen Körper: "the diminutive body which she had so often adorned". Beck übersetzt hier "adorn" mit "herausgeputzt", was sich für mich anhört, als würde etwas wenig Ansehnliches "aufgemöbelt"; der Begriff "geschmückt" vermittelt das Würdevolle dieser Frau. Trotz ihres geringen sozialen Status und der offenkundig im Leben erfahrenen Enttäuschungen und Erniedrigungen ist es gerade sie, die alle anderen Menschen überragt.

Einmal lacht Maria mit, als jemand einen Witz über ihre Altjungfernschaft macht; dann heißt es: "her grey-green eyes sparkled with disappointed shyness". Sowohl Zimmer als auch Beck übersetzen hier, dass ihre Augen vor Schüchternheit "funkeln". Das Verb "to sparkle" wird im Englischen in Verbindung mit der Persönlichkeit eines Menschen oder seiner Augen jedoch meist positiv verwendet, beispielsweise "vor Lebensfreude sprühen". Wenn die Augen einer Frau "vor Wut funkeln", würde man eher sagen: "her eyes glowed with rage". Im Deutschen verwendet man für das positive Leuchten der Augen den Begriff "sprühen". Ich finde "sprühen" hier passender. Dass ihre Augen "funkeln" legt für mich nahe, dass Maria wütend und enttäuscht ist. Sie ist über den Verlauf ihres Lebens vermutlich nicht erfreut, aber sie verfügt über eine große innere Stärke; sie lebt nicht in der Haltung eines Opfers. Sie ist von allen in der Geschichte vorkommenden Personen diejenige, die dem Leben am Positivsten gegenübersteht.

Obwohl Maria eine große innere Kraft ausstrahlt, hat ihr Leben auch traurige Seiten. Als die Heiminsassen ironische Witze über ihre Heiratsfähigkeit machen, lacht sie mit, jedoch so sehr, "till her minute body nearly shook itself asunder". Dieses eher an einen Heulkrampf erinnernde Lachen übersetzt Zimmer so: "bis ihr winziger Körper fast auseinanderbarst." Hier geht meines Erachtens die Bedeutung verloren, dass Maria von allen Seiten Druck erfährt, sie ist beispielsweise nirgendwo wirklich erwünscht. Und trotzdem hält diese "zierliche" Frau dem Druck stand und sorgt sich zudem um die Menschen in ihrer Umgebung. Ich finde hier die Bedeutung "in Stücke gehen" oder "aus den Fugen geraten" passender. "Es zerreißt sie fast", sagt man von einer Frau, die permanent mit konkurrierenden, kaum auf einen Nenner zu bringenden Ansprüchen konfrontiert wird. Diese Bedeutung gefällt mir eher als die Übersetzung Zimmers, die eine abfällige Interpretation in Richtung "vor Neid platzen" nahelegen könnte, was – gesellschaftlich gesehen – ja auch tatsächlich einfach naheliegt.

Eher als das menschliche Elend nämlich, das – etwas ironisch und angedeutet – zwischen den Zeilen aufscheint, hat mich beim Lesen der Geschichte die Aufrichtigkeit und innere Stärke Marias beeindruckt. Ein solches Frauenheim war für die Insassen keine schöner Zufluchtsort. Eine sehr kritische Sicht auf diese Institutionen vermittelt der britisch-irische Film Die unbarmherzigen Schwestern (The Magdalene Sisters) von Peter Mullan aus dem Jahre 2002, wobei hier die Situation der Magdalenenheime siebzig Jahre nach der Zeit geschildert wird, in der die vorliegende Erzählung spielt.

Ich habe die Geschichte mit dem Blick darauf gelesen, wie eine Frau das Beste aus ihrer Situation macht. Sie zerbricht nicht daran, sondern spendet auch immer wieder Freude und Leben, beispielsweise Ableger aus ihrem Wintergarten. Sie als "alte, verbitterte Jungfer" zu betrachten und negativ zu bewerten, liegt auch nahe. Aber aus meiner Sicht gelingt Joyce hier ein sehr ungewöhnliches Porträt, geprägt von einem klaren Blick und Mitgefühl. Das habe ich bei der Übersetzung versucht nachzuvollziehen.

Edward Viesel

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